Mit Onlineshopping haben Händler viel über ihre Kunden gelernt: Nutzen ließ sich das Wissen nur online. Das soll sich ändern: Neue Technologien erobern den stationären Handel.
MÜNCHEN. Noch handelt es sich um Prototypen, die den Kunden beim Händlertag der SAP-Tochter Hybris präsentiert werden: Kleidungsstücke, die mittels RFID-Chips Zusatzinformationen auf einen Tablet-PC in die Umkleidekabine eines Geschäfts bringen.
Oder ein Regal, das auf Nutzer reagiert und nach Bedarf zusätzliche Produktinformationen auf einem Bildschirm anzeigt. Zusätzlich könnten über das Smartphone auch noch Daten in den Verkaufsprozess im Geschäft eingebunden werden, sagt Christian Neeb vom Labor der SAP-Tochter Hybris. Beworben wird das hierzulande nicht, in Europa klinge das noch stark nach Überwachung.
Dennoch geben die Prototypen eindeutig die Richtung vor: Für den Softwarehersteller Hybris eröffnet der Weg in den stationären Handel ein neues Feld. Statt am Back-End könne der Hersteller von E-Commerce-Software künftig auch am Front-End Lösungen anbieten. Und der herkömmliche Handel werde bald nicht mehr ohne diese Technologien auskommen.
Daten fehlen
Kaufen Kunden online ein, bleiben kaum Rätsel. Händler wissen was und wann gekauft wird, was Kunden interessiert und im Idealfall auch, was sie künftig kaufen werden. Sogar Wetterprognosen werden dabei miteinbezogen.
Das ist auch notwendig: Denn die persönliche Ansprache wird unter dem Stichwort Kundenzufriedenheit längst erwartet. Kennen Händler ihre Kunden nicht, dann können sie gar nicht auf die Bedürfnisse eingehen. Und das schlägt sich, wie eine Studie des Beratungsunternehmens Accenture zeigt, auf die Umsätze nieder. Allein in den USA macht die sogenannte Switching Economy (wenn Kunden zu anderen, neuen Anbietern wechseln) mittlerweile rund 1,6 Billionen US-$aus. Das ist eine Steigerung von knapp 30 Prozent seit 2010. Unternehmen kommen mit den sogenannten "Nonstop"-Kunden, die ihre Einkäufe immer und auf allen Kanälen durchführen, ins Straucheln. Zu oft gehen die Kunden zwischen der ersten Produktsuche am Smartphone und dem Onlineshopping via PC an einen anderen Anbieter verloren. Richtige Schwierigkeiten bekommen Händler aber spätestens dann, wenn der Kunde das stationäre Geschäft betritt. Alle gesammelten Informationen sind dann so lange nicht zugänglich, bis die klassische Kundenkarte eingesetzt wird. Genau hier setzen neue Technologien, wie sogenannte Beacons-kleine Sender, die auf dem Funkstandard Bluetooth Low Energie (BLE) basieren-oder NFC-Technologien (Near Field Communication) an.
Wachstumsmarkt
Die Chancen seien enorm, sagt Bernd Gruber, Geschäftsführer und Miteigentümer des auf Navigation in Innenräumen spezialisierten Wiener Unternehmens Indoors. Neben einem Projekt für den Flughafen San Francisco arbeitet Indoors gerade an Lösungen für Handelshäuser und Einkaufszentren. Beacons spielen dabei Informationen und Navigationshinweise auf das Handy der Kunden aus. Das lässt sich nicht nur für Gutscheine, sondern auch für personalisierte Angebote nutzen. Technisch ist das möglich. Jetzt werde einiges passieren, sagt Gruber.
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Ben Ruschin - c-Schiffl |
Nachgefragt: "Potenziale werden nicht genutzt"
Wird es in einigen Jahren noch klassische Kundenkarten geben?
Ben Ruschin: Kundenkarten wird es in Zukunft nur noch für eine ältere Minderheit geben. Die Mehrzahl wird in virtuellen Kundenklubs zusammengefasst, die über Smartphones betrieben werden. Es gibt eine Reihe von Technologien zur mobilen Datenübertragung-NFC, Beacons, Geofences-,die sich einsetzen lassen. In jedem Fall werden die Loyalty-Programme eine weitere Komponente der Personalisierung erhalten. Der Dialog mit dem Kunden wird mithilfe einer Vielzahl von Daten auf den geografischen Ort und den richtigen Zeitpunkt zugeschnitten.
Es gab bereits einige Pilotprojekte, die auf der NFC-Technik aufsetzen. Was sind die Lehren daraus?
Die Aufklärungsphase ist noch lange nicht abgeschlossen. NFC ist noch nicht Teil des Alltags. Die Ausstattung der Bankomatkarten war nur ein erster großer Schritt, um zu zeigen, wie Datenübertragung funktionieren kann. Die Potenziale werden von Loyalty-Programmen aber noch nicht genutzt. Viele Händler führen aber aktuell Pilotprojekte durch, die demnächst einen Rollout erleben.
Wo stehen österreichische Unternehmen? Von wem kann man lernen?
Österreich hinkt im Vergleich zum asiatischen und angelsächsischen Raum stark hinterher. Gleichzeitig bietet dies Retailern die Chance, als sogenannte Second Mover die Fehler der Innovatoren zu vermeiden.
Welche Technologien werden im Handel Fuß fassen? Und wovon sollte man die Finger lassen?
Location-based Services sollten nicht in technologischen Kategorien betrachtet werden, sondern als Use Cases, die bestimmte Ziele erfüllen. NFC wird bei der mobilen Bezahlung eine Rolle spielen, Beacons bei der Indoor-Navigation. Die Übertragung von Gutscheinen wird eine starke Verbreitung erleben. Viele Entwicklungen sind aber abhängig von den großen Technologiekonzernen. Firmen sollten ihre Infrastruktur flexibel und modular aufbauen, um einen Technologiewechsel zu ermöglichen.
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